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Nachtschattengewächs

Es fängt immer gleich an: Drei Jungs, drei Biere, drei Pläne, die nicht funktionieren. München, Freitagabend, die Luft klebt nach Regen, und wir hocken in irgendeiner schäbigen Kneipe mit karierten Tischdecken, die wahrscheinlich schon mehr verschüttetes Bier aufgesogen haben als der ganze Tresen.

„Brudi, heute malen wir noch“, sagt Marc und grinst, während er sein Bier in einem Zug leert. Er hat diese irre Energie in den Augen, die ihn in den letzten fünf Jahren aus jedem Suff unverwundbar gemacht hat. Ich glaube, irgendwann wird er einfach verschwinden – nicht sterben, sondern sich einfach in einer Nacht wie dieser in Luft auflösen, als wäre er nie dagewesen.

„Aber erst noch zwei, drei Stops, bevor wir den heiligen Kunstakt vollziehen“, lallt Flo und schwenkt sein Glas wie ein Revolutionär auf der Barrikade.

Wir durchpflügen die Nacht wie marodierende Seeleute. Eine Bar mit zu teuren Cocktails, in der Marc aus Versehen mit einer Frau flirtet, die sich dann als sein One-Night-Stand von vor drei Wochen entpuppt – peinlich für ihn, lustig für uns. Dann eine Billardkneipe, in der Flo einem Glatzkopf erklärt, dass seine politische Einstellung „ungefähr so sexy wie eine abgelaufene Leberkässemmel“ ist. Es folgt ein Döner, der um 4:32 Uhr auf dem Bordstein endet.

Aber wir haben eine Mission.

5:07 Uhr. Der Himmel ist ein tiefes, dreckiges Blau, als wir über das Gleis schleichen, Taschen voller Dosen, Köpfe voller Nebel. Der Zug steht da wie ein schlafender Drache, leise summend, fast atmend. Die ersten Striche fliegen auf das Blech, der Lack dampft, unser Herzschlag wird eins mit dem Knistern der Dosen.

Dann passiert es.

Ein Geräusch. Schritte. Wir ducken uns, Adrenalin durchbricht die Alkoholwand. Aber es ist kein Bulle. Kein Wachmann.

Es ist ein Mann im Hasenkostüm.

Wir starren ihn an. Er starrt zurück. Kein Wort. Dann zieht er eine Möhre aus seiner Tasche, beißt herzhaft hinein und geht weiter, als wäre das hier alles nur ein weiterer Dienstagmorgen für ihn.

Keiner sagt etwas. Wir beenden unser Werk in absolutem Schweigen.

Um 7:43 Uhr schleppen wir uns in die Wohnung. Draußen brummt die Stadt, Leute hetzen zur Arbeit, Kinder schleifen zu spät ihre Ranzen in die Schule.

Wir aber sind fertig. Mission accomplished.

Marc fällt aufs Bett, murmelt „Guter Zug“, und dann ist er weg. Flo schnarcht bereits, während er noch eine Kippe in der Hand hält. Ich grinse, schaue noch ein letztes Mal aus dem Fenster und sehe die Stadt im Morgengrauen.

Dann falle ich in den Schlaf, tief, schwarz und zufrieden.

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